Als wir schon wieder auf dem Heimweg waren, erreichte uns eine E-Mail aus Rossinière: Sie müssen dort jetzt Schilder aufstellen, um den Verkehr zu regeln – weil unser Kunstwerk an der Ortsdurchfahrtsstraße alle Blicke auf sich zieht und damit den Verkehr bremst. Das ist doch mal ein schönes Kompliment für ein außergewöhnliches Projekt an einem außergewöhnlichen Ort: Les Artisanales de fil en aiguille, ein Kunst-Festival „mit Nadel und Faden“ in Rossinière, einem kleinen Dorf in den Bergen im französischsprachigen Teil der Schweiz, nahe Montreux.
Einfach mitmachen geht hier nicht: Die Veranstalter haben Elke von @gassemaschen eingeladen, dabei zu sein. Und sie hat mich, @dieoberpfaelzerin, als Partnerin für dieses Projekt an Bord geholt und die Firmen Schachenmayr und Pro Lana/Langendorf und Keller als Garn-Sponsoren gewinnen können.
Im ganzen Dorf wurden 77 Plätze ausgesucht, an denen internationale Textil-Künstler ihre Werke präsentieren – die meisten unter freiem Himmel, einige auch in einem der typischen rustikalen Holzgebäude. Mit dabei sind Künstler aus der ganzen Welt: zum Beispiel aus den USA, Brasilien, Mexiko. Und Elke und ich dürfen Deutschland vertreten.
Mit dabei ist auch die Yarngang, der wir beide angehören – eine in ganz Deutschland verteilte Gruppe von Strick- und Häkelbegeisterten, die zuletzt unter Elke Regie in 18 Städten der Republik Bäume mit bunten Häkelschmetterlingen in „Hotspots against Corona“ verwandelt hatten. Und nun einen Hotspot und mehr in Rossinière. Wir haben diese Schmetterlinge eingesammelt und sie mit nach Rossinière genommen, um sie hier an einem Baum auf dem zentralen Dorfplatz zu vereinen. Schon als wir sie dort aufgehängt haben, waren sie Gesprächsstoff im Ort. Und weil die Bank, die den Baum umgibt, im Dorf ein sehr beliebter Platz zum Verweilen ist, erfreuen unsere Schmetterlinge jetzt alle, die hier zwischen den bunten Faltern Platz nehmen.
Zusätzlich zu den Schmetterlingen, die ja schon fertig waren, haben wir noch ein zweites Projekt ausgeheckt: Innerhalb von drei Monaten entstand „La Suisse typique – typisch Schweiz”: 40 Figuren oder Gegenstände, die uns bei einem Brainstorming spontan zur Schweiz eingefallen sind. Berühmte Persönlichkeiten, aber auch manche Schweizer Eigenheit, die mit einem Augenzwinkern gehäkelt wurde. Und wir haben unser Werk auch „signiert“ – wir haben uns als „Mini-me“ selbst in Wolle portraitiert und dazwischen einen kleinen Hotspot-Baum „gepflanzt“, an dem Mini-Schmetterlinge flattern – so, wie ein paar Mehr entfernt, im Großformat am Dorfplatz.
Natürlich alles ohne Anleitung: Nur Fotografien der Originale dienten als Vorlage – der Rest entsteht durch Fantasie, Kreativität, Probieren und ja, auch durch Auftrennen und nochmal Versuchen. Es ist wirklich erstaunlich, was man mit der Häkelnadel alles machen kann. Eigentlich wie Zeichnen, nur eben mit Nadel und Wolle – und mit unbegrenzten Möglichkeiten!
Elke hat beispielsweise den Skifahrer Beat Feuz in rasanter Abfahrt verewigt, den Schriftsteller Max Frisch in Wolle porträtiert, Albert Einstein vor einem Laptop aus Acrylgarn gesetzt und der Schweizer Kult-Limonade Rivella mit ihrer ikonischen braunen Flasche ein Denkmal gesetzt. Bei mir landeten unter anderem die Toblerone und ein Käsefondue an der Häkelnadel, aber auch Musik-Ikone Tina Turner, die in der Schweiz lebt, oder Eislauf-Star Denise Biellmann mit der berühmten Pirouette, die ihren Namen trägt. Denise Biermann hat sich übrigens bei uns gemeldet – mit einem netten Kommentar auf einen Instagram-Post ihres „Mini-me“: Sie findet die Aktion cool, schreibt sie!
Nicht alle Künstler konnten selbst anreisen, um ihre Werke zu installieren – wir aber waren drei Tage in Rossinière und durften deshalb auch schon die ersten begeisterten Reaktionen selbst miterleben: Wie schön, wenn man Menschen mit etwas Wolle, einer Häkelnadeln und Fantasie ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann!
Dass man dabei auch loslassen muss, gehört dazu beim Yarnbombing. Wir haben ja Bilder von unseren Werken. Und vielleicht kommen wir Mitte September noch einmal zurück nach Rossinière: das Festival endet am 12. September, danach werden die Kunstwerke wieder abgebaut. Bis dahin kann man sie auf einem wunderbaren Spaziergang durchs Dorf genießen. Wer in der Nähe ist, sollte unbedingt einen Besuch einplanen – es sind wirklich bemerkenswerte Werke zu sehen: der in filigraner Spitze gehüllte mächtige Baum neben der Kirche („Arbre“ von Les Bricopines), die fröhlichen Sonnenblumen, die in einem Privatgarten von einer Biene umschwirrt werden („Tournesols“ von den Familien Ansermet und Henchoz) oder ein Meer leuchtend roter Mohnblüten, eingefangen in einem großen Netz, das sich wie ein Schleier vom Kirchturm zu Boden spannt („Coquelicots“ der Group Memory). Ein wirklich außergewöhnliches Kunst-Erlebnis – wir sind stolz, ein Teil davon zu sein.
Hotspot und mehr in Rossinière – Text von Heike @dieoberpfaelzerin